Ein Kinodokumentarfilm von Mirjam von Arx
Evangelikale Christen rufen die zweite sexuelle Revolution aus: Keuschheit als Gegenbewegung zu Gesinnung und Praktiken der modernen Kultur. So gelobt in den USA bereits jedes achte Mädchen, unbefleckt in die Ehe zu gehen. Doch die sieben Kinder der Familie Wilson, Gründer der Jungfrauen-Bälle (Purity Balls), gehen in ihrem Bestreben nach Reinheit von Körper und Geist noch einen Schritt weiter: Sogar den ersten Kuss gibt’s erst vor dem Traualtar!
Zwei Jahre lang habe ich den Wilson-Nachwuchs begleitet und dokumentiert, wie die religiöse Rechte eine junge Generation von «Virgins» darauf vorbereitet, eine evangelikale Utopie zu verwirklichen. Doch nicht nur in Amerika, auch in Europa verbreitet sich religiöse Intoleranz, und es werden vermehrt national- und sexualkonservative Stimmen laut. Deshalb möchten wir den Filmstart von VIRGIN TALES mit einer breit angelegten Informationskampagne über die hiesige Sexualpolitik und ihre Auswirkungen begleiten.
Der Keuschheits-Boom
Jungfräulichkeit ist ein kulturelles Konstrukt, das seit Jahrtausenden gezielt eingesetzt wird, um zu kontrollieren und zu lenken, was Menschen denken, fühlen, wie sie sich verhalten und manchmal sogar, ob sie leben oder sterben. Auch heute noch. Wer jetzt aber nur an radikal-islamische Staaten mit ihren Ehrenmorden oder an ultra-orthodoxe Juden und ihre Matchmaker denkt, liegt falsch. Gerade in so genannt fortschrittlichen, westlichen Nationen erfährt der Jungfrauen-Kult zurzeit einen regelrechten Boom.
Wie fast jeder neue Trend kommt auch dieser aus den USA. Hier legt bereits jedes achte Mädchen vor Gott ein Gelübde ab, bis zur Ehe keusch zu bleiben. Wenn dies nicht gehalten wird, führt das oft zu einer regelrechten Zerrüttung von Familien: Die Töchter werden von ihren Eltern mit Verachtung bestraft oder im Extremfall gar aus der Familie ausgeschlossen. Namhafte Politiker unterstützen diese Haltung, um dem angeblichen Sittenzerfall entgegenzuwirken. Und in der Schule setzt man statt auf Aufklärung auf Enthaltsamkeitskunde. Hier lernen die Jungen dann, dass Kondome ohnehin nichts nützen. Die Möglichkeit von Verhütungsmitteln wird totgeschwiegen und allein Abstinenz gepredigt – was die Jugendlichen aber erwiesenermassen nicht davon abhält, erste sexuelle Erfahrungen zu machen. Die Folge: Die Anzahl an Teenagerschwangerschaften sowie Aidserkrankungen schiesst drastisch in die Höhe.
Evangelikale Christen, die den Kern dieser Purity-Bewegung bilden, machen bereits über einen Viertel der US-Bevölkerung aus, sind in der Regierung überaus stark vertreten und bestimmen damit die Weltpolitik wesentlich mit. Und auch in Europa ist ihr Einfluss nicht zu unterschätzen: In Frankreich soll es schon 400’000, in Deutschland eineinhalb und in Grossbritannien sogar fünf Millionen evangelikale Christen geben. In der Schweiz machen sie bis jetzt zwar nur etwa 3% der Bevölkerung aus, in gewissen Gebieten wie zum Beispiel Teilen des Emmentals aber bereits über 40%. Und auch hier ist die Tendenz steigend – schliesslich ist der evangelikale Glaube weltweit das zurzeit am stärksten expandierende Segment der christlichen Kirche.
Dass ich unsere Dokumentation hauptsächlich in Colorado und nicht im Emmental gedreht habe, liegt an den Wilsons, Gründer-Familie des so genannten Purity Balls. Zu diesem jährlich stattfindenden Fest, dem die Mädchen wie ihrem Prom-Ball entgegen fiebern, kommen Töchter (ab vier Jahren) im Abendkleid am Arm ihrer Väter und legen gemeinsam ein Gelübde ab, alles zu tun, damit das Mädchen bis zur Ehe keusch bleiben möge. In den USA werden solche Bälle inzwischen in 48 US-Staaten gefeiert. Und auch Europa verfällt dem Fieber immer mehr. Bereits haben sich bei den Wilsons zukünftige Veranstalter aus 17 Ländern gemeldet, darunter solche aus Grossbritannien, Frankreich und Deutschland. Vater Randy Wilson ist mein Schlüssel zu dieser weltweit um sich greifenden Purity-Bewegung. Seine Familie wird in den US-Medien als Sinnbild für die Neue Reinheit gefeiert oder – je nach Standpunkt – verhöhnt. Die fünf Wilson-Töchter, die nur einen Mann heiraten wollen, der genauso ist wie ihr Vater, sind die Vorzeige-Jungfrauen der USA: jung, hübsch, charmant und jeden noch so scheuen Kuss vor der Ehe verteufelnd. Und auch die Söhne vertreten strikt die Haltung, eine Frau das erste Mal vor dem Traualtar zu küssen.
Natürlich sind mir die geradezu mittelalterlich anmutenden Rollenbilder der Evangelikalen (der Mann bestimmt, die Frau dient ihm) ein Dorn im Auge. Doch ich will die Familie Wilson nicht einfach «vorführen», denn das würde das Phänomen der Purity-Bewegung verharmlosen. Ich will ihr vielmehr auf den Grund gehen, damit die Diskussion über Sexualpolitik da ansetzen kann, wo die wahren Brennpunkte liegen.
Wir brauchen dich!
Dass dies auch bei uns vonnöten ist, zeigen die seit Monaten schwelenden Debatten um den Aufklärungsunterricht in den Schulen, an welchen sich auch die Kirchen stark beteiligen. Sie gipfelte im Oktober 2011 in der Einreichung einer Petition «Gegen die Sexualisierung der Volksschule», die in einem Zeitraum von etwas mehr als drei Monaten von 91’816 Bürgerinnen und Bürgern unterzeichnet wurde. Ich finde es deshalb enorm wichtig, dass der Filmstart von VIRGIN TALES von einer breit angelegten Medienkampagne begleitet wird, die auf den Film und die Thematik aufmerksam macht und die hiesige Sexualpolitik zur Diskussion stellt. Dafür brauchen wir Eure Unterstützung!
Wir haben zwar wertvolle Förderbeiträge bekommen, u.a. von der Zürcher Filmstiftung, Migros Kulturprozent, Suissimage, SRF und ARTE. Da uns das Bundesamt für Kultur aber einen solchen verweigerte, fehlt uns bis heute ein Teil unseres Budgets. Um die Qualität des Filmes und den damit verbundenen Kinostart nicht zu gefährden, habe ich in der Folge das gesamte uns zur Verfügung stehende Geld in die Herstellung des Filmes investiert. So fehlen uns nun CHF 28’000 zur Finanzierung der Marketingkosten, welche die Herstellung von Flyer, Poster, Trailer und einer Informationsbroschüre umfassen, und die Gestaltung einer umfassenden Webseite (www.virgintales.com), inklusive Blog, und Organisation von Podiumsdiskussionen.
Denn egal, ob jemand jungfräulich in die Ehe gehen will oder nicht, Teenager sollen akkurat aufgeklärt werden und wissenschaftlich verbriefte Informationen bezüglich Verhütung erhalten, damit sie niemals die Selbstbestimmung über ihren eigenen Körper verlieren.